Spezialisten jenseits der Masse
- Wirtschaftliche Potenziale und Kalkulationsansätze für Augenoptiker
Oder: Macht "Spezialist sein" betriebswirtschfatlich überhaupt Sinn?
In einem hart umkämpften Wettbewerbsumfeld mit großen Filialisten und Billiganbietern müssen sich Inhaber von augenoptischen Geschäften Möglichkeiten suchen, sich von der Masse abzuheben. Um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen und langfristig wirtschaftliche Stabilität zu erlangen, bietet eine Spezialisierung auf Nischen wie bspw. Optometrie, Kontaktlinsen oder Low Vision die Chance, erfolgreich und wettbewerbsfähig am Markt zu agieren. Insbesondere die Positionierung in einer Nische und das Angebot von Dienstleistungen erfordert in der Augenoptik allerdings eine klare Kalkulation der Leistung und die damit einhergehende Kenntnis der eigenen Kostenstruktur. Im Verlauf dieses Artikels werden die Schritte und Herausforderungen einer Spezialisierung aufgezeigt und beleuchtet, wie Augenoptiker diesen Weg erfolgreich und vor allem betriebswirtschaftlich sinnvoll gestalten können.
Das Tummeln in Nischen birgt viele Chancen!
Jeder Mensch ist anders und jeder Kunde hat andere (Seh-) Bedürfnisse. Menschen mit besonderen Sehbedürfnissen werden oftmals in „normalen“ Geschäften nicht optimal versorgt, da hier einfach die Expertise für den speziellen Versorgungsbereich fehlt. Diese kann sich aber jeder Augenoptiker aneignen. Dabei kommt es natürlich auf persönliche Vorlieben und Präferenzen an. Eine Spezialisierung auf die Versorgung von Kindern ist sicher nur empfehlenswert für diejenigen, die gerne mit Kindern arbeiten. Besteht Spaß an Kontaktlinsen, könnte dies die Nische sein, in der man sich tummeln will. Eine klare Positionierung in solchen Nischen stärkt die Kundenbindung, die Zufriedenheit der Kunden und sorgt für langfristige Loyalität. Inhaber, die bereits eine Spezialisierung auf eine Nische gefunden und umgesetzt haben, berichten, dass sie dank der zusätzlichen, qualitativ hochwertigen Beratungs- und Dienstleistungsangebote am Ende auch hochwertiger verkaufen. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, die Beratung bzw. die verbundene Dienstleistung, wie bspw. die Erstanpassung von formstabilen Kontaktlinsen, einzeln zu kalkulieren und die Kosten dem Kunden transparent zu vermitteln.
Die Bedeutung der Kalkulation bei einer Spezialisierung
Die immer noch gängige „Integration“ der Beratungs- und Dienstleistungskosten in den Endpreis der Brille sollte ersetzt werden durch eine transparente Darstellung der Einzelpositionen. Vor allem im Zusammenhang mit dem Angebot spezieller Dienstleistungen, wie bspw. optometrischer Screenings, ist diese Vorgehensweise elementar. Im Klartext heißt das, die Brille kostet eben nicht 1.500 €. Denn um die Brille erstmal herstellen zu können, hat der Augenoptiker vorher ggf. optometrische Messungen aber mindestens eine ausführliche Refraktion durchgeführt. Eine Rechnung sollte also mindestens die Dienstleistung, Fassung und Gläser (inkl. Marke, Typbezeichnung) beinhalten. Je transparenter dem Kunden der Gesamtpreis dargestellt wird, umso größer wird die Akzeptanz sein, da die Trennung der Kostenpositionen den Wert der spezialisierten Beratung oder Dienstleistung verdeutlicht. „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“, diesen Leitspruch sollte jeder Augenoptiker leben. Denn wer den Wert seiner eigenen Leistung kennt, kann diese einem Kunden gegenüber auch glaubwürdig und plausibel erklären.
Um diese Vorgehensweise etablieren zu können, muss der Augenoptiker vorher die Kosten seiner Beratungszeit kennen, denn nur so kann er betriebswirtschaftlich sinnvolle Preise für seine Dienstleistung entwickeln. Dadurch wird zudem das Risiko minimiert, dass der Aufwand und die Arbeitszeit für eine bestimmte Leistung wie bspw. die Anpassung von Multifokallinsen unterschätzt wird.
Basics einer Spezialisierung: Was gehört in die Kalkulation?
Egal, mit welcher Spezialisierung gestartet werden soll oder in welcher Nische sich der Augenoptiker betätigen will, gewisse Anfangsinvestitionen sind unumgänglich. Je nach Spezialisierungsfeld sind diese unterschiedlich umfangreich. Durch eine präzise Planung der entstehenden Kosten sollte sichergestellt werden, dass die mit den neuen Leistungen eingehenden Erträge die tatsächlichen Kosten auch wirklich decken und optimalerweise Gewinne erzielen. Welche Kosten sind also zu berücksichtigen?
1. Qualifikation und Weiterbildung
Jede Spezialisierung erfordert fundiertes Fachwissen, das nur durch qualifizierte und regelmäßige Fort- und Weiterbildungen erreicht und gehalten werden kann. Der Wissens- und Kenntnisvorsprung, der mit entsprechenden Qualifizierungen erworben wird, ist die Grundlage für die hochwertige, glaubwürdige und kompetente Leistung, welche Kunden von einem Spezialisten erwarten.
2. Anschaffung von Geräten
Je nach Spezialgebiet, können die erstmaligen Anschaffungskosten für hochwertige und komplexe Geräte durchaus hoch sein. Insbesondere im Bereich der optometrischen Dienstleistungen sind eine Vielzahl an Anschaffungen erforderlich, die deutlich in den sechsstelligen Bereich reichen können. Eine langfristige Amortisationsplanung ist in dem Zusammenhang unumgänglich. Die Ausstattung mit modernen und technisch optimalen Geräten ist aber vor allem in der Kundenwahrnehmung nicht zu unterschätzen, da diese ebenjene erwarten.
3. Marketing und Kommunikation
Das Anbieten spezialisierter Leistungen reicht allerdings nicht aus, um sich am Markt erfolgreich in einer Nische zu positionieren. Denn jede Leistung ist nur so gut, wie ihre Vermarktung. Augenoptiker berichten über die Schwierigkeit, ein neues Leistungsangebot wie bspw. optometrische Messungen („Gesundheitsmessungen“) bei Kunden und potenziellen Kunden bekannt zu machen. Hier sollte ein konkretes Marketingkonzept entwickelt werden, welches Zielsetzungen festlegt und Maßnahmen entwickelt, um die gesteckten Ziele zu erreichen und das neue Angebot langfristig über das eigene Einzugsgebiet hinaus bekannt zu machen. Kooperationen mit Multiplikatoren können die Bekanntheit erhöhen und den Zugang zur Zielgruppe erleichtern.
4. Zeitmanagement
Spezialisierte Leistungen und Beratungen erfordern meist einen höheren Zeitaufwand, was wiederum im Betriebsalltag geplant und in der Beratungskapazität berücksichtigt werden sollte. Aufgrund des erhöhten Aufwandes sollten die Beratungsleistungen, wie oben bereits erwähnt, als eigene Positionen transparent und separat aufgeführt werden. Das sorgt am Ende nicht nur für eine angemessene Vergütung, sondern sorgt dafür, dass Kunden die hohe Qualität der Beratung als eigenständige Leistung wahrnehmen und nicht nur im Zusammenhang mit dem Endprodukt, wie Brille oder Kontaktlinsen sehen.
Kalkulationsbeispiel: (Wann) Rechnet sich eine Spezialisierung auf Optometrie?
Das folgende Beispiel bietet eine stark vereinfachte Gegenüberstellung von Investitionen, potenziellen Einnahmen und zusätzlichen laufenden Kosten eines Betriebes, der sich auf das Angebot verschiedener optometrischer Messungen (hier: „Gesundheitsmessungen“) spezialisieren will.
Investitionen
Fortbildung zum Optometrist (HWK): 4.600 €
Geräte und Ausstattung: 42.000 €
- Spaltlampe mit Kamera 12.000 €
- D90 Lupe 500 €
- Non-Kontakt-Tonometer 6.000 €
- Sehtestgerät für Betriebsärzte mit Visusprüfung,
Testung des Farbsehens, Kontrastsehteste,
Dämmerungssehtest, Gesichtsfelduntersuchung 7.500 €
- Skiascop 1.000 €
- Funduskamera 15.000 €
- Einmalige Marketingkosten, Kommunikation 10.000 €
Summe Investitionen 56.600 €
Rentabilität
Einnahmen
150 x Gesundheitsmessungen/Jahr 13.350 €
Brillenverkäufe an Neukunden 18.000 €
Höherer Durchschnittspreis bei Bestandskunden 6.000 €
Gesamtzusatzeinnahmen im Jahr 37.350
Aufwand
Laufende Kosten/Jahr für opt. Messungen 8.500 €
(85 € * 150 * 40/60)
Weiterbildung / Jahr 5.000 €
laufenden Marketingkosten / Jahr (zusätzlich) 5.000 €
Summe Zusatzaufwand / Jahr 18.500 €
Zusatzgewinn pro Jahr: 18.850 €
Für das Beispiel wird davon ausgegangen, dass ca. 150 „Gesundheitsmessungen“ im Jahr durchgeführt werden. Der Preis für eine Gesundheitsmessung liegt bei 89 €. Die Ermittlung des Stundenverrechnungssatzes ergab einen Verrechnungssatz von 85 €, so viel kostet den augenoptischen Betrieb eine Stunde Arbeit bei Berücksichtigung von fixen und variablen Kosten. Die Dauer einer Gesundheitsmessung liegt bei durchschnittlich 40 Minuten. Die Hälfte der Kunden sind Neukunden, die aufgrund der Marketingaktivitäten von dem Angebot erfahren haben. Von diesen 75 Kunden kaufen sich 30 Kunden eine neue Brille. Der Durchschnittspreis liegt bei 600 €. Von den 75 Bestandskunden kaufen sich ebenfalls 30 Kunden eine neue Brille. Diese geben jetzt etwas mehr Geld aus und kaufen hochwertigere Gläser. Der Durchschnittspreis liegt bei 800 €, 200 € mehr pro Brille.
Das bedeutet für das Beispiel, dass sich die einmaligen Investitionen nach 3 Jahren amortisieren und ab Jahr 4 Gewinn erwirtschaftet wird.
Eine Amortisierung kann aber bei aktiver Vermarktung deutlich früher erfolgen. So berichten Kollegen, die diesen Weg eingeschlagen haben, dass sich ihre Investitionen bereits nach einem Jahr amortisierten und deutlich mehr als 150 Kunden für die Messungen gewonnen werden konnten.
Bei der beispielhaften Berechnung wird davon ausgegangen, dass die optometrischen Messungen und auch die daraus resultierende Brille nicht rabattiert oder (teilweise) Leistungen verrechnet werden. Davon sollte gerade im Bereich der optometrischen Dienstleistungen grundsätzlich abgesehen werden. Die erforderliche Betriebsausstattung sowie die laufende Weiterbildung des Personals verursachen dem Betrieb hohe einmalige und laufende Kosten, welche zum einen von den Einnahmen gegenfinanziert werden müssen. Zum anderen sollte diese hochqualifizierte Leistung dem Kunden gegenüber auch so kommuniziert werden, dass er selbst den Wert der Leistung erkennt und bereit ist, den entsprechenden Preis zu zahlen.
Fazit: Bei Kenntnis der eigenen Kosten und realistischer Planung macht eine Spezialisierung auch betriebswirtschaftlich Sinn.
In einer von technischem und strukturellen Wandel betroffenen Branche wie der Augenoptik, muss jeder Unternehmer Wege finden, sich von den Mitbewerbern abzuheben. Glücklicherweise gibt es in der Augenoptik zahlreiche Möglichkeiten, dies erfolgreich zu tun. Dass eine Spezialisierung nicht „nur“ aus Imagegründen, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sein kann, zeigt das obige Beispiel.
Es gilt allerdings: Auch wenn eine Nische gefunden wurde und diese erfolgreich bedient wird, bedeutet das nicht, dass die Arbeit damit erledigt ist. Denn Marktentwicklungen, technische Neuerungen, wandelndes Kaufverhalten oder Umstrukturierungen in der Branche erfordern ständige Aufmerksamkeit, um sich kurzfristig auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen zu können.
Ebenso sollte sich jeder Unternehmer genauso wie ein Existenzgründer fragen, ob es (genug) Kunden für die Nachfrage nach dem (neuen) Produkt oder der (neuen) Dienstleistung im Umfeld gibt. Ziel ist es, den Bedarf der Zielgruppe und ihre Preisbereitschaft besser zu verstehen. Auf dem Land, wo Patienten ein Jahr auf einen Termin beim Augenarzt warten, könnte das Potenzial für optometrische Dienstleistungen bspw. größer eingeschätzt werden als anderswo. Sind die Kunden aber aufgrund niedriger Einkommen oder konjunktureller Einflüsse sehr preissensibel, ist ggf. eine andere Spezialisierung sinnvoller. So muss jeder Betriebsinhaber individuell entscheiden, in welchen Bereichen seine besonderen Interessen und Kompetenzen liegen, um anschließend prüfen zu können, ob das Marktumfeld eine Positionierung in der entsprechenden Nische hergibt.